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Hartmut Neumann

* 1954in Delmenhorst
1976 – 1980Studium an der Hochschule für Künste in Bremen bei Rolf Thiele
ab 1981diverse Preise und Stipendien
seit 1992Professur an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig
1992documenta IX
lebt in Köln und Braunschweig.

Werke

FASZIATION DES KÜNSTLICHEN

Das Paradies ist ohne Sündenfall nicht denkbar. Doch in flämischen Bildern des frühen 17. Jahrhunderts stellt es sich noch als Ort der Glückseligkeit dar, bevölkert von Tieren aller Art, die in harmonischer Koexistenz den vollkommenen Frieden verkörpern. Hartmut Neumann kennt natürlich solche Beispiele aus der Kunstgeschichte. Auch seine Paradieslandschaft präsentiert sich als farbprächtige Szenerie aus Flora und Fauna, aber darüber hinaus erinnert nichts mehr an die weiträumigen Landschaften der Flamen.

„Im nordischen Paradies“ des Künstlers kommen nur heimische Tiere vor, tauchen inmitten von Pflanzen Graureiher und Storch, Eichhörnchen, Fuchs, Hase und Wildschwein auf. Das Reh – als Bambi fast schon so tabuisiert wie der ‚Röhrende Hirsch’ – übernimmt jeweils die rahmende Außenposition. In diesem Garten Eden breiten sich urwaldgleich Feldblumen und Blattwerk, Schoten und Doldengewächse aus. Äste bilden Girlanden, Kränze betonen die vier Eckpunkte des Bildes und formen am Boden Nester. Selbst die Tiere wirken wie aufgesteckte Blumen. Natur und Künstlichkeit gehen im paradiesischen Utopia ineinander über. Ob Pflanzen, Vögel, Fuchs – sie alle sind Teil der großen ornamentalen Umrandung, die das Bildzentrum begrenzt.
So öffnet sich die üppige Vegetation wie ein Guckkasten und gibt den Blick auf ein Getreidefeld frei, das in dunstigem Weiß zu verglimmen scheint. 
Wobei die Sicht in die Weite gleichsam als Sehnsuchtsblick das Atmosphärische der norddeutschen Landschaft evoziert. Hinter der Horizontlinie des Ährenfelds öffnet sich ein Raum aus diffusem Licht, changiert ins Zartrosé, verblaut, und nimmt oben ein fast schon mystisches Zitronengelb an. Die Sonne selbst versteckt sich. Überhaupt die Farben: Sie leuchten und lodern, erscheinen mal durchscheinend zart und flüssig wie im Aquarell, dann wieder kompakt. Auch der Stil wechselt. Räumliches provoziert den flächigen Gegenpart. Da kontrastiert ein abstrahiertes, windradartiges Streifengebilde mit der Realistik der Tiere und dem märchenbuchgleichen Charakter der Flora – ornamental gezähmte Natur, aus der im Bildzentrum der Strohballen wie eine Skulptur auf dunklem Sockel hochragt. Gelborangefarben und bewusst im Pinselduktus van Goghs gemalt, scheint er ins Kreisen zu geraten und wird von einem gestischen Farbwirbel wie eine Feueraureole umstrahlt.
Harmlos ist das nicht. Das Bedrohliche dringt in die Natur ein und signalisiert, dass selbst das verwunschene ‚nordische Paradies’ seine Unschuld verliert. So wird die Idee der Idylle konterkariert, der Betrachter genötigt, sich zu Natur und Kreatur und zur Zerstörung des Menschheitstraums vom Garten Eden zu verhalten.
Immer wieder gibt es in diesem Bild Korrespondenzen: die wirbelförmige Blüte gegenüber dem Windrad, die Kränze, die beiden Rehe, der Fuchs und der isolierte Fuchsschwanz oder das Wildschwein frontal und abgekehrt – nur noch am Fell erkennbar. Hartmut Neumann fasziniert „die Kunst in der Kunst“, das Künstliche, die Irritation. Er geht von abstrakten Konstruktionen aus und plant alles genau durch, doch im Lauf des Malprozesses können sich Konstellationen verändern. Sich selbst bezeichnet er als Sortierer und Ordner, der dennoch mit überbordender Üppigkeit malen muss. „Im nordischen Paradies“ erfüllt sich, so konzeptuell der Ansatz auch sein mag, vollkommen Neumanns Forderung: „Man muss auch die Lust an der Malerei spüren“ (Annette Lettau, Sammlungskatalog „IM NORDEN“ , 2009).