Thomas Schütte
* 1954 | in Oldenburg |
1973 – 1984 | Studium an der Kunstakademie in Düsseldorf bei Fritz Schwegler und Gerhard Richter |
1987 | documenta VIII; Skulptur. Projekte Münster |
1992 | documenta IX |
1997 | documenta X; Skulptur. Projekte Münster |
vielfache Auszeichnungen, u. a. | |
2005 | Auszeichnung mit dem Goldenen Löwen als bester Künstler der Biennale Venedig |
2007 | Skulptur. Projekte Münster |
zahlreiche internationale Ausstellungen und permanente Projekte im Ausland (u.a. Chicago, London) | |
Ausstellungen im In- und Ausland | |
lebt in Düsseldorf. | |
www.thomas-schuette.de |
Werke
ZUM TRÄUMEN AUFWECKEN
Auf was die Wünschelrute wohl anspricht? Jedenfalls sucht der Mann im Matsch nach Möglichkeiten. Im Unwegsamen lotet er seine nächsten Schritte aus. Darin ist er dem Künstler verwandt.
Thomas Schütte hat diese Figur in zahlreichen Modellen seit 1981 entwickelt: Zunächst versinken die Männer reihenweise und brusttief in Schlamm und Schlick, dann drehen sie sich im Kreis, geführt von einem Hund – einem Blindenhund? –, oder sie schreiten los im Rund ohne Spielraum mit einem Banner in der Hand, dessen Aufbruchspathos nicht über die umfassende Orientierungslosigkeit hinwegzutäuschen vermag.
Ein verwandtes Thema war die „Wattwanderung“, ein druckgraphisches Tagebuch von 2001, bei dem sich persönliche und weltpolitische Tagesaktualität mischt in der Metapher des Watts, wo kein fester Grund mehr greift und die Gezeiten den Ort ständig verändern. Mehrere Modelle des „Mann im Matsch“ deuten schon mehrstufige Brunnenkonstruktionen auf öffentlichen Plätzen an.
Die Figur in Oldenburg ist jedoch zum ersten Mal eine Umsetzung des Motivs in großen Dimensionen, in einer übergroßen Dimension eigentlich, bei der das monumental Beeindruckende in einem seltsamen Kontrast zu der antiheroischen Situation der Figur steht. Der Auftrag für Oldenburg begann mit einer streichholzgroßen Maquette. Darin wird deutlich, wie sehr die Figur auch in Überlebensgröße noch mit der Vorstellung spielt.
Nun wird der Mann unverrückbar in Bronze vor uns dastehen, und bleibt doch ein verletzliches Phantom, das beim nächsten Schritt absinken und verschwinden könnte. Schütte schafft Zeitmetaphern, die über den Moment hinaus Gültigkeit erreichen. Der „Mann im Matsch“ ist eine Kritik an den smarten Selbstüberschätzungen einer Moderne, die mit dem kläglichen Einsturz der Finanzarchitektur ihre spekulative Seite nur noch einmal deutlicher offenbart hat. Der Rutengänger mit gesenktem oder, wie in den plastischen Studien, mit erhobenem Blick in die Wolken ist zugleich ein Romantiker. Er scheint ein Mann der Poesie zu sein, der die Wachwelt zum
Träumen aufweckt, wie in Joseph von Eichendorffs Gedicht „Wünschelrute“ von 1835: „Schläft ein Lied in allen Dingen, / Die da träumen fort und fort. / Und die Welt hebt an zu singen, / Triffst du nur das Zauberwort.“
(Hans Rudolf Reust, Sammlungskatalog „IM NORDEN“, 2009)