Heidi Specker
* 1962 | in Damme |
1984 – 1990 | Studium an der Fachhochschule Bielefeld, Fachbereich Design |
1995 | Meisterschülerin bei Joachim Brohm an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig |
2006 – 2010 | Vertretung der Professur für Fotografie und Medien an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig |
2010 | Stipendiatin Villa Massimo |
internationale Projekte und Ausstellungen Preise und Auszeichnungen lebt in Berlin und Leipzig. | |
www.heidispecker.de |
Werke
IM BRUCH DER GEFÜHLSLAGE
Bilder orientieren sich in Sachen formaler Struktur gewöhnlich nach innen. Klassische Gestaltungsmuster siedeln ihr wichtigstes Motiv im Zentrum an; manieristische platzieren es demonstrativ von der Mitte weg und bestätigen so das Prinzip durch Verstoß. Heidi Specker schlägt den umgekehrten Weg ein. Die groß- und kleinformatigen Bilder der Folge „i.O. – in Oldenburg“ weisen virtuell über die Bildgrenzen hinaus. Ihre Umrisse werden zu Elementen des visuellen Reports, nicht minder wichtig als die Gegenstände, Farben, Formen und Binnenkonturen. Sie schneiden bewusst in einen Zusammenhang des Sichtbaren ein und zugleich ein bestimmtes Stück heraus. Damit zwingen sie die Betrachter, das Gesehene über das tatsächlich Abgebildete hinaus imaginativ zu erweitern. Wo endet die Mauer hinter dem Ast, wo das rostige Gitterfeld und wo das verästelte Gestrüpp, welche Größe besitzt der Schuppen?
Heidi Specker nutzt den Bildrand wie der Film den Cut. Jedes Bild verlangt nach der Bildreihe. Erst die Summe der Bilder öffnet den Blick – ohne der Wahrnehmung ihren zerstreuten Charakter zu nehmen. Die Bildreihe besteht aus fragmentarischen Eindrücken. In der zentrifugalen Anlage ihrer Bilder schreibt sich die Moderne ein. Unter den Malern haben Edgar Degas und Pierre Bonnard diese Art, Bilder zu organisieren, eingeführt und zur Meisterschaft gebracht. Beide haben ausgiebig mit der Fotografie experimentiert. Heidi Specker ist ein Pionier auf dem Gebiet der digitalen Bildherstellung. Mit dem analogen Verfahren der Fotografie hat diese Technik nur das Offensichtliche gemein.
Schon in ihren früheren Architektur-Aufnahmen bekannte sich die Künstlerin zu den anschaulichen Errungenschaften der Moderne und des technischen Fortschritts. Den damaligen Mangel der digitalen Wiedergabe in der Abbildschärfe verwandelte sie in ein ästhetisches Plus. Dadurch lenkte sie die Aufmerksamkeit der Betrachter von den dargestellten Motiven auf den Modus der Wahrnehmung. Auch mit der inzwischen verbesserten Technik änderte sie ihr künstlerisches Ziel nicht. Um Fragen menschlicher Wahrnehmung kreist ihr ästhetisches Denken. Insofern ist weniger die Natur als deren konventionelle Wiedergabe die besondere Herausforderung ihrer „Oldenburger Bilder“. Die erstarrten Darstellungsformen – mitunter zitiert Heidi Specker sie in traumhaften Bildern. Und dann taucht ein verknicktes Wellblech auf und stört.
Im Bruch der Gefühlslage kommt sie den Dingen näher. Die Anordnung der Bilder richtet sich häufig nach den örtlichen Gegebenheiten. Ihr kommt die gleiche Bedeutung zu wie dem prononcierten Bildrand und der sequenziellen Reihung. In der Kombination der Bilder vergegenwärtigt sich wie von selbst das Phänomen der Zeit; doch diskontinuierlich wie im richtungslosen Wechsel der Jahreszeiten. Anders als beim Erzählfilm. Im leisen Zwang, von Bild zu Bild zu „wandern“, erfahren die Betrachter zudem Wahrnehmung als Körperaktion. Gleichsam en passant dokumentiert die Künstlerin noch die Vielfalt einer Kulturlandschaft, die stets gefährdet ist.
(Klaus Honnef, Sammlungskatalog „IM NORDEN“, 2009)